Ist ein Bier zum Essen Sucht oder Ritual? Eine Zigarette danach Gewohnheit oder Ritual? Oder der Morgenkaffee, Sucht, Gewohnheit oder Ritual? Für mich ist ein Morgenkaffee Ritual. Ich schreibe bewusst, ein und nicht DER Morgenkaffee. Denn eigentlich bin ich bei Kaffee ein bisschen wählerisch, uneigentlich ist mir Kaffee wichtig. Im Hotelzimmer musste ich mir unlängst selbst einen kochen, die Milch war jedoch verdorben, sehr ärgerlich, ganz schlechter Start in den Tag: weiße Flöckchen im rehbraunen Instant-Kaffee. Aber Instant-Kaffee hätte ich ertragen.

Am liebsten mag ich den Morgenkaffee vor dem Frühstück; am besten wenn es noch ruhig ist, alle noch schlafen oder noch keiner im Büro ist oder schon alle aus dem Haus sind. Den Tag entschleunigt, aber nicht unbeschäftigt starten. Kaffee kochen: schlechtestenfall löslichen Kaffee mit heißem Wasser aufgießen und, noch schlechterenfalls, Kaffeesahne aus dem Plastikdöschen dazu. Bestenfalls echte Milch, im Zweifelsfall sogar auf die Hütte mitschleppen. Noch lieber ist mir allerdings das Ritual der Schraubkanne, von Bialetti oder einem anderen Hersteller.

Kaffee kochen als Ritual

Weil das Material die Hitze speichert, kann sie nicht nach Gebrauch direkt gereinigt werden. Das heißt, vor dem Kochen des frischen Kaffees steht das Entsorgen des alten Kaffeesatzes. Mit einem Löffel aus dem Sieb kratzen, ausspülen (von beiden Seiten) und dann Wasser abmessen, in den unteren Teil der Kanne einfüllen (nie ganz voll machen), Sieb mit Kaffee füllen (nichts daneben verlieren) – neuerdings sogar mit Handmühle vorher Kaffee mahlen, sofern der örtliche Händler nur Bohnen anbietet. Danach die beiden Kannenteile zusammenschrauben, auf den Herd stellen. Die Wartezeit, bis sich der fertige Kaffee röchelnd ankündigt, damit überbrücken, Milch aufzuschäumen. Morgens den heißen Kaffee zu gleichen Teilen mit heißer, geschäumter Milch (nicht steif geschlagen) aus hoher Höhe aufgießen, so dass sich Milch und Kaffee vermischen.

Morgenkaffee Rituale

Während die Kanne erhitzt wird, kann der Milchschaum gestartet werden. Da ich über keine Dampfmaschine für Espresso besitze, nutze ich nach wie vor die erste Generation des Nespresso Aufschäumers. Robust, komplett aus Metall. Ich mag es, wenn der Schaum nicht zu fest, aber gut temperiert ist, damit der Kaffee nicht so schnell auskühlt. An sehr kalten Tagen wärme ich sogar die Tasse mit heißem Wasser vor.

Der Aufwand der Zubereitungsschritte gibt das Tempo vor, kurze Wartezeiten lassen sich überbrücken: Handy aus dem Flugmodus holen, Alexa Zusammenfassung starten, Twitter gucken, Newsletter der Tageszeitungen checken. Oder am Wochenende: nur Twitter gucken. Zum Nachdenken über den startenden Tag gibts schon Kaffee.

Kaffee zum Gespräch unter Männern

Unvergesslich das Erlebnis bei der Familie einer guten Freundin auf dem Balkon mit schöner Aussicht. Ich wurde wach nach einem Zwischenstopp auf dem Weg aus dem Sommerurlaub nach Hause. Und stand auf dem Balkon, wie Männer morgens aussehen: zerknautschtes, ausgeleiertes T-Shirt und Boxershort. Plötzlich ein identisch gekleideter Morgenmann neben mir. Drei Worte: „Guten Morgen, Kaffee?“ Dann hörte ich im Hintergrund, die typischen Schraubkannengeräusche, sieben Minuten später hielten wir unsere Morgenkaffees in der Hand und blickten auf die Berge, ohne Frühstück. Der Ehemann meiner Freundin und ich konnten uns wie Männer unterhalten, vor dem Frühstück, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Obwohl wir uns vorher nur wenige Male gesehen hatten und uns nicht gut kannten, war einen Kaffee lang eine Vertrautheit da. Einen Kaffee lang, die Welt ausgebremst, die Zeit angehalten. Ein Ritual.

Dies ist ein Beitrag zur Blogparade „Kleine Rituale“ von Lutz.

Kaffee beziehe ich meistens von Emilo (Gattopardo und Münchner Bio Espresso) und Vits (Einmal um die Welt oder Indien Summer) in München sowie Bohnenreich aus Kolbermoor bei Rosenheim (via kava coffee & kitchen in Traunstein).

Und zum Schluss darf natürlich dieses Lied aus dem Jahr 1980 nicht fehlen, hier in einer sehr schönen akkustischen Fassung von 2011:

6 Comments on “Männer in Boxershorts”

  1. Pingback: Meine aktuelle Blogparade: KLEINE RITUALE - Auflistung aller Beiträge

  2. Welch feiner Artikel!
    Auch bei mir geht morgens nichts über das Kaffeeritual. Ich geniesse diese immer gleichen Handgriffe auch genauso wie den Kaffeegeruch und das Sprotzeln der Kanne. Und es muss eine Bialetti sein, billige Nachbauten gehen gar nicht.
    Bei mir ist es die klassisch achteckige 3-Tassen Moka Express.
    Den Kaffee, bevorzugt den in größeren Mengen über den Brenner gefahrenen Omkafè aus Riva del Garda, mahle ich aber nicht selbst. Dafür wird die Milch per Hand geschäumt. Auch ein sehr ritualisierter Vorgang.
    Viele Grüße
    Uli

    • Hi Uli, danke für das Feedback. Naja im Vergleich zu Bialetti ist WMF jetzt auch nicht richtig billig 😉 Der Vorteil der kleinen lokalen Röster ist, dass ich öfter neu kaufen und dadurch wechseln und neue Kaffees ausprobieren kann. Auf jeden Fall sind wir uns einig, dass im Kaffee sehr viel mehr steckt als Koffein, deshalb könnte ich darauf nie verzichten. Beste Grüße zurück Markus

  3. Neinnein, auf Deine WMF war das nicht bezogen. Ich habe mich nur daran erinnert, was ich schon für windige Nachbauten der Original Caffettiera gesehen habe. Manchmal testen wir auch kleine Röster, den für mich idealen Kaffee habe ich dort aber noch nicht gefunden. Zum Glück bin ich ja immer mal wieder am Gardasee 🙂

    • War auch nicht so gemeint, darum 😉 Hach ja, Gardasee. Ist dieses Jahr leider an mir vorübergegangen, muss aber nächstes Jahr unbedingt wieder…

  4. Pingback: Meine aktuelle Blogparade: KLEINE RITUALE - Das war es mal wieder...

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