Zugfahren ist immer für eine Diskussion gut: zwischen überzeugten Zugfahrern, unerschrockenen Vielfliegern, unbelehrbaren Autofahrern, durchtrainierten Fahrradfahrern. Man sieht schon, in welche Richtung es hier geht.

Ich verstehe die Vielflieger nicht, die sich manchmal sogar mehrmals pro Woche die unwürdige Behandlung bei der Sicherheitskontrolle gefallen lassen; dann wird man von Wartezimmer zu Wartezimmer herumgeschubst, bis man sich in einen engen Sitz quetscht, auf dem man am besten 50 Minuten oder womöglich noch viel länger unbeweglich sitzen bleiben sollte. Platz für Notebook, ein Buch und einen Plastikbecher Kaffee gibt es nicht. Wo man landet, ist vom Ort abhängig, ganz sicher aber nicht in der Innenstadt des Zielortes. Unbestritten ist die Faszination Fliegen, die in der Werbung beschworen wird: schicke, gut sitzende Uniformen, braungebranntes gut geschminktes Personal und das Gefühl von „über den Wolken“ – wenn man einen Fensterplatz ergattert hat.

Nicht nachvollziehbar auch die Autofahrer, die eine Grimasse schneiden, wenn der Zug 15 Minuten Verspätung hat, sie aber Meetings im Zwei-Stunden-Rhythmus verlassen müssen, um die Parkuhr nachzuwerfen oder gar das Auto umzuparken. Ganz zu schweigen von den ständigen Lamentos über die verstopften Straßen und die „anderen Verrückten“ da draußen – ohne zu merken, dass man selbst Teil davon ist, geschweige denn mal über eine Lösung nachgedacht zu haben. Wohin soll man denn mit all den Autos. Im Übrigen freue ich mich, dass die Tendenz nun dazu geht, nicht nur Flächenverbrauch, Abgase und Reifenabrieb als umweltverschmutzend zu betrachten, sondern auch Lärm. Wer einmal in den traumhaften Bergen entlang der Deutschen Alpenstraße unterwegs war und noch 600 Höhenmeter über der Straße die brüllenden Motoren der „Sportwagen“ auf der Landstraße gehört hat, weiß wovon ich rede. Nur damit keine Missverständnisse entstehen: ich gönne jedem seinen Sport, dort wo er hingehört, in dem Fall auf die Rennstrecke, aber nicht in den öffentlichen Raum, anders als die Werbung der Automobilkonzerne suggeriert.

Ebenfalls der Werbung der Autokonzerne haben wir es zu verdanken, dass im ländlichen Raum die dort unvermeidlichen Kurzstrecken mit größten Autos und maximalem Treibstoffverbrauch gefahren werden. Wie viele Tage im Jahr haben wir denn einen Winter, selbst im Voralpenland, der einen fetten Geländewagen rechtfertigt. Und selbst wenn der fette Geländewagen durchkommt, bleibt er auch im Stau des hängengebliebenen LKWs an der nächsten Steigung stehen. Die Werbung mit dem „ich wäre aber in der Lage, wenn ich könnte“, setzt den sowieso schon vollen Straßen die SUV-Krone auf. Dafür werden Straßen zu klein, Parkplätze zu eng und Unfälle tödlicher.

Home Office im Zug – warum nicht

Ich schweife ab… eigentlich wollte ich über die Vorteile des Zugfahrens schreiben, im Gegensatz zum Auto und zum Flugzeug. Warum, weil ich fünf Stunden im Zug hinter mir habe, die ich wieder mal nicht missen möchte. Bewegungsfreiheit für Arme und Beine, Raum zum Arbeiten, Essen am Platz, Bordunterhaltung draußen, wie drinnen. Manchmal überlege ich wirklich, ob ich mein Büro nicht in den Zug verlegen sollte. Eine meine bevorzugten Strecken wäre dabei mit Sicherheit: Salzburg – Zürich; zugegeben, so viele außergewöhnliche Zugstrecken kenne ich nicht, aber diese verläuft nicht nur über eine der landschaftlich schönsten Strecken in Zentraleuropa, sondern wird zum Glück auch von der ÖBB mit dem Railjet bedient.

Immer einen Blick aus dem Fenster wert: Berg mit Inn.
Immer einen Blick aus dem Fenster wert: Berg mit Inn.

Nach meinem Eindruck standen für das Design der Railjets Business und First Class aus dem Flugzeug Pate; ein Vergleich mit den ICE oder IC der Deutschen Bundesbahn fällt schwer. Vor allem in der ersten Klasse hat man das Gefühl, „gedämpfter“ zu reisen. Bei der letzten Fahrt habe ich mir für 15 Euro Aufpreis die Business First Class gegönnt, die auf Schienen ein „über den Wolken“ Gefühl vermittelt: zwei, drei, maximal vier großzügige Ledersitze pro Abteil, 50cm Abstand zum Nachbarn, ausreichend Ablagefläche für Notebook, Zeitschriften und Getränke. Dass für Reisegepäck noch mehr Platz vorhanden ist, versteht sich bei der luftigen Raumplanung von selbst. Am Donnerstagnachmittag im September war der Business-Bereich mittelmäßig ausgelastet, am Samstagnachmittag von Zürich zurück nach Salzburg, gering, in dem Wagonteil saßen mit mir drei Fahrgäste. Einen guten Eindruck des Railjet vermittelt dieses Video, das allerdings von August 2016 stammt.

Eine 20-minütige „Begehung“ des Railjet vom August 2016.

Der Service am Platz ist mittlerweile von „Don‘s“, eine deutliche Qualitätsverbesserung zu früher, offenbar auch beim Personal, das gepflegt und zurückhaltend freundlich ist. Hervorzuheben ist das regelmäßige Vorbeischauen (das hoffentlich nicht nur der geringen Auslastung geschuldet war).

Minuspunkte dürfen auch nicht unerwähnt bleiben: die Ablage am Lehnstuhl der First Business Class ist in die Lehne integriert; sie ist groß genug zum Arbeiten, aber für ein schnelles Aufstehen, z.B. um aus dem Fenster zu schauen, ist das Verräumen des „Schreibtisches“ umständlich (vielleicht wäre ein Wegschwenken denkbar, wenn man den Tisch weiterverwenden und nicht ganz wegklappen will). Apropos Fenster: Fenster putzen ist sicher keine Kernkompetenz und nicht das Hauptaugenmerk der ÖBB, das ist gut so. Andererseits hätte ich mir schon einen etwas klareren Ausblick gewünscht (man hört doch so viel von Nanotechnologie, gibt es hier nicht eine besser schmutzabweisende Fensteroberfläche?). Ein weiterer Minuspunkt war für mich keiner: dass es dem Schaffner bei der Rückfahrt nicht gelungen ist, mir mein Upgrade zu verkaufen, ist das Problem der ÖBB: beim ersten Schaffner war das Kreditkartenlesegerät kaputt, beim zweiten Schaffner klappte im ersten Anlauf die Buchung mangels Internetverbindung nicht und beim dritten und letzten Versuch, kurz vor dem Aussteigen in Salzburg, versagte das Kartenlesegerät komplett. Eigentlich nicht mein Problem, aber das schlechte Gewissen reist ja mit.

Arbeiten konnte ich trotzdem, schließlich ist Zugfahren für mich fast noch besser als Home Office: Wenn keine grölenden Reisegruppen das Abteil bevölkern, kann ich bei Hintergrundgeräuschen gut arbeiten. Perfekt für die Konzentration und Fokussierung ist der Blick aus dem Fenster: das kurze Abwenden vom Bildschirm führt nicht gleich zum Gedankenverlust. Dadurch, dass die Landschaft vorbeizieht, findet der Blick keinen Halt, der die Gedanken abwandern lassen würde. Perfekt also um längere Texte zu schreiben oder zu überarbeiten.

Übrigens: die Unsitte, die von allen als notwendig und soziologisch-kulturell erwünschte Mobilität mit der Bahn durch ziemlich nutzlose Lärmschutzwände von der Außenwelt abzuschotten, geht gar nicht. Ich möchte nicht in einer naturlosen Blechdose von A nach B verschickt werden: ich möchte wissen, wo ich bin, wie die Landschaft aussieht und wie die Menschen hier wohnen und arbeiten, das hilft meinen Gedanken. Zugstrecken sind meistens schon da, wen sie stören, der darf nicht hier wohnen – ich fahre auch regelmäßig an meinem Wohnhaus vorbei und freue mich, es zu sehen, statt eine grau-grüne Wand. (Interessant bleibt die Frage, was vor allem die Güterzugindustrie in punkto Lärmschutz so treibt…?)

Einer der vielen Berge, die man im Inntal passiert. Leider ist die Transparenz und Sauberkeit der Fenster für Fotografen, eher schwierig.
Einer der vielen Berge, die man im Inntal passiert. Leider ist die Transparenz und Sauberkeit der Fenster für Fotografen eher schwierig.

Mit dem ÖBB Railjet von Salzburg nach Zürich (und zurück)

Was bin ich also froh, dass wenigstens große Teile der Berge noch dünn besiedelt sind. So kann ich weite Teil der Strecke von und nach Zürich ohne Sichtschutzwände genießen. Hier in Richtung Zürich.

Wenn man Glück hat startet man in Salzburg bei Föhn, dann blickt man in nordwestlicher Richtung auf den Untersberg, dessen Gipfelstation so klar erscheint, dass man meint, man wäre an der Talstation der Bergbahn und nicht an einem Großstadtbahnhof. Der weitere Streckenverlauf bis Innsbruck ist relativ unspektakulär – wenn man Glück hat erhascht man noch ein paar Blicke auf den Chiemsee. Ab Kufstein wird es dann wieder bergiger und oft zeigen sich Zillertaler Alpen und Wilder Kaiser, wenn man aus dem Inntal in Taleinschnitte hineinblickt. (In Rosenheim hält der Zug aus grenzpolitischen Gründen nicht, da man von Salzburg nach Kufstein quasi auf österreichischem Staatsgebiet bleibt, genannt „Korridor“). Zügig geht es dann aus Innsbruck hinaus Richtung Arlberg, die Berge werden höher und das Tal wird enger.

Der Gipfel des Untersberg, auch Salzburger Hochthron genannt, vom Salzburger Hauptbahnhof aus.

Richtig spektakulär wird es dann, wenn sich die Zugstrecke an die Konturen der Berge nahezu anschmiegt. Im Tal fließt der Fluss dahin, auf der gegenüberliegenden Seite sieht man in die Berge hinauf, die über 2.000 Meter aufragen. Entsprechend langsam fährt Zug, so dass man in Ruhe die Ausblicke genießen kann. Letzter Halt auf der Alpennordseite ist dann St. Anton am Arlberg – leider hat die Bahnstation nichts mehr Idyllisches. Viel Beton der Eisenbahn trifft sich im Talgrund mit viel Beton der Straße und der Lawinenverbauung. Für Infrastruktur und Sicherheit sicher ein Plus, für die Romantik ein absolutes Minus. Lediglich einmal, im Januar, bei dichtem Schneetreiben in der Nacht stellte sich dort oben am verschneiten und nahezu menschenleeren Bahnhof so etwas wie Eisenbahnromantik ein.

Kurz vor oder kurz nach St. Anton am Arlberg: ganz Nahe an beeindruckender Bergkulisse.
Kurz vor oder kurz nach St. Anton am Arlberg: ganz Nahe an beeindruckender Bergkulisse.

Auf der anderen Bergseite angekommen, schlängelt sich der Zug langsam nach unten, die Strecke ist weniger aufregend, da nicht so eng, dafür hat man gute Ausblicke auf die Berge gegenüber. Im Tal angekommen nimmt der Zug wieder Fahrt auf Richtung Schweiz, auf gerader Strecke sind 160 Kilometer pro Stunde keine Seltenheit. Im Grenzbahnhof ändert sich dann die Fahrtrichtung, bevor mein absolutes Strecken-Highlight folgt: der Walensee.

Der Walensee in der Schweiz: eine mir unbekannte Urlaubsidylle vom Zug aus gesehen.
Der Walensee in der Schweiz: eine mir unbekannte Urlaubsidylle vom Zug aus gesehen.

Eng am Ufer entlang schlängelt sich die Bahn; so dass man an schönen Sommertagen Lust bekommt direkt hineinzuspringen, man sieht Menschen am Strand liegen, Surfer und Bootfahrer. Der See erscheint wie ein zu groß geratener Bergsee oder wie der kleine Bruder des Gardasees: auf der Seite der Eisenbahn ein hügeliges Ufer, während die gegenüberliegende Seite von hohen Felswänden begrenzt ist. Hier schaut die Schweizer Welt noch mehr nach Modelleisenbahn aus.

Danach folgt wieder ein relativ uninteressanter Streckenabschnitt, bis es an die Ufer des Zürichsees geht. Kilometerlang, bis kurz vor Zürich fährt man fast an der Strandpromenade entlang. Blicke auf den See werden höchstens durch luxuriöse Ein- und Mehrfamilienhäuser verstellt, bis man kurz vor dem Zürcher Hauptbahnhof durch ein paar Tunnels fährt und den See verliert.

Aus dem Zugfenster fotografiert nutzt das beste Smartphone nichts, dennoch bekommt man einen Eindruck von der "Zugpromenade" am Zürichsee.
Aus dem Zugfenster fotografiert nutzt das beste Smartphone nichts, dennoch bekommt man einen Eindruck von der „Zugpromenade“ am Zürichsee.

Schnell sind die fünf Stunden von Salzburg nach Zürich vergangen. Mit Essen und Bordunterhaltung bleiben sowieso nicht mehr als gut zwei Stunden zum Arbeiten, die aber sehr effizient 😉

Offenlegung 1

Ja, auch ich erlebe mit dem Zug naturgemäß Pannen, die in Verspätungen resultieren können. Ich bin mir jedoch meiner Machtlosigkeit gegenüber Signalstörungen, Störungen im Betriebsablauf, Polizeieinsätze usw. bewusst. Mit dem Smartphone haben wir aber ein Gerät in der Hand, dass uns dabei hilft, diese Zeit sinnvoll zu nutzen – wer mag kann natürlich auch zocken. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, 100-prozentige Pünktlichkeit gefordert sein sollte, fahre ich mit entsprechendem Puffer los, das würde ich mit dem Auto ja auch tun. Dafür komme ich entspannter an – unabhängig vom Verkehrsverlauf.

Offenlegung 2

Ja, ich bin früher auch Kurzstrecke geflogen; einfach, weil ich beim Flughafen um die Ecke gewohnt habe. Salzburg -Düsseldorf ist zum Beispiel auch so eine Strecke: mit dem Zug (hohe Auslastung wird in der App bereits angezeigt) zwischen sechseinhalb und gut acht Stunden; mein Aufwand mit dem Flugzeug: eine halbe Stunde zum Flughafen Salzburg, aufgrund seiner Größe dauert es vom Aussteigen aus dem Auto, inkl. Sicherheitskontrolle, bis zum Gate keine 10 Minuten; eine Stunde Flug. Ich dürfte es also in rund drei Stunden von Haustür zum Termin in Düsseldorf schaffen – hier könnte wieder das Flugzeug gewinnen, auch bei mir – oder doch die Videokonferenz.

3 Comments on “Eine Zugfahrt, die ist….”

  1. Danke Markus für dieses Plädoyer für die Bahn! Nicht zu vergessen- zumindest aus meiner Erfahrung .- nette Gespräche, die mit muffligen Fluggästen doch eher selten sind…. Lg Angelika

    • Danke für deine Kommentar, Angelika. Vielleicht liegts daran, dass man sich im Flugzeug mehr gefangen fühlt, als im Zug. Wenn der Zug nicht arg überfüllt ist, kann man bei störenden Zeitgenossen immer noch das Abteil, den Wagon oder ins Bordrestaurant wechseln. Dann entspannt sich die Situation von selbst. Grüße Markus

  2. Pingback: Schluss mit Lustig – zum Zustand der Deutschen Bahn – senk You – Pflugblatt* (beta)

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