re:publica – so war der erste Tag
Vorweg sei gesagt: ich habe es tatsächlich geschafft, alle Sessions zu besuchen, die in meinem Plan standen, bis auf eine. Das heißt also für Dienstag durchgehendes Programm von 10 bis 21 Uhr. Zwei wesentliche Beobachtungen dabei: Veranstaltungen, die sich eher an Tecchies (oder Nerds) richteten, waren besser besucht als Sessions, die sich mit der EU oder Gesamteuropa beschäftigten (für mich auch sehr bezeichnend, dass es offenbar selbst unter der Netizens eine Art EU-Müdigkeit gibt). Hier nun meine Sessions sätzeweise zusammengefasst:
Der Entwicklungspsychologische Blick auf unseren Umgang mit sozialen Netzwerken und Smartphones war interessant. Vor allem die Erkenntnis, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, denn wir tun mit den modernen Mitteln nur Dinge, die Steinzeitmenschen schon getan haben und Affen immer nocht tun. Kraulen und Lausen wird jetzt ersetzt durch Likes und Shares. Der Grund dafür ist, dass sich dass Hirn auch nur evolutionär entwickelt und die technische Entwicklung schneller voranschreitet, als unser Kopf mitkommt. Überfüllte Session, die besten Referenten des Tages.
Die anschließende Nerd-Session beschäftigte sich mit Sicherheit in Private-Cloud-Umgebungen. Newthinking hielt die Veranstaltung am Stand in der großen Halle ab. Immerhin zehn Leute interessierten sich dafür, wie anfällig Clouds für Attacken sind, die aus Standardkomponenten und mit Standard-Software aufgebaut sind. Insbesondere warnte der Experte von Fehlern in der Firmware von Hardware, machte auf das Problem aufmerksam, wie in virtuellen Umgebungen die Speicherverwaltung funktioniert, erläuterte, dass vor allem virtuelle Maschinen nur Pseudo-Zufallszahlen erzeugen können. Seiner Einschätzung nach, kommen 80 Prozent des Risikos aus Hardware-Komponenten.
Der anschließende Vortrag war ein Appell für mehr Toleranz im Web. Auch wenn der Referent sich eindeutig auf die Seite der Sprachprogressiven schlug, bat er darum, auch die Sprachkonservativen im Web leben zu lassen. Sein mit vielen Beispielen garniertes Fazit: Technisch in der Lage zu sein, miteinander reden zu können, heißt nicht, miteinander reden zu müssen. Da Konservative und Progressive nicht dieselben Interessen und Prioritäten haben, ist eine Auseinandersetzung nicht immer notwendig.
Anschließend sprachen zwei Mitarbeiter von EDRi, European Digital Rights, zu Ihrem Engagement für digitale Bürgerrechte bei der EU. Erschreckend vor allem die Schilderungen, wie die Kommission versucht, abgelehnte Vorschläge über neue Wege oder mit anderen Formulierungen immer wieder durchzubringen. Auch die Schwierigkeiten der EU-Parlamentarier, gefährliche Formulierungen in Anträgen zu erkennen, war Thema. Als Beispiele führten die Referenten ACTA, Websperren, Netzneutralität, Clean IT und Data Rentention an. Leider sprang der Funke des Engagements nicht auf das Publikum über.
Danach schaute ich mir 200 Jahre „Hipster-Nachrichten“ an. Ein Versuch, die Geschichte von Widerstand und Revolution von 1832 bis heute multimedial in Form von Nachrichten aufzubereiten. Kurzweilig und gelungen, wenn auch mit wenig Tiefgang. Beispielsweise wurde das Aufkommen des Kaleidoskops mit Worten beschrieben, die den heutigen Smartphone-Tests entsprechen.
Danach ging es um Presse- und Meinungsfreiheit in Europa. Leider konnte sich in der Kürze Zeit kein intensiver Dialog zwischen den Diskutanten aus der Türkei und Russland entfalten. Zwar war die Moderation gut und die akademischen Blicke auf die Situation in den Ländern wichtig, aber leider ging auch diese Diskussion nicht unter die Haut. Der russische Teilnehmer berichtete, dass in Russland die Schwierigkeiten mit Behörden umgangen werden, indem man kritische Berichte zuerst an ausländische Medien gibt, so dass diese nach der Veröffentlichung quasi in Russland nur zitiert werden. Für den türkischen Teilnehmer war klar, dass Erdougan „nicht solche Freunde wie Putin und Berlusconi“ haben sollte. Er gefährde mit Propaganda und Manipulation die Einheit der Türkei. Einig waren sich beide Teilnehmer, dass die aufgedeckten Überwachungsmethoden des Westens absolut schädlich für die Presse- und Meinungsfreiheit in ihren Ländern sind. Denn ihre Behörden und Regierungen berufen sich nun zur Rechtfertigung immer auf die westlichen Ländern, die ja genauso agieren würden. Die Akademikerin warnte darüber hinaus, auf positiven Einfluss der Internet-Plattformbetreiber, wie Twitter oder Google, zu hoffen; sie hätten keine „redaktionelle Kraft“ vor denen sich die Machthaber fürchten müssten und zudem ein Geschäftsmodell, das unpolitisch sei.
Die folgenden beiden Session waren interessant, wenn auch ohne praktisches Ergebnis. @Westphal forderte, dass es allen Menschen möglich sein müsste, auf über ihn gespeicherte Daten zuzugreifen und zwar maschinenlesbar, standardisiert, mobil, kostenfrei und über offene Schnittstellen und Formate. Er forderte das nicht nur für bestehende Anwendungen und soziale Netzwerke, sondern auch für zukünftige, etwas elektronische, vernetzte Stromzähler oder Autokonzern, die Fahrtrouten und Fahrverhalten aufzeichnen. Sein Vorschlag: Daten automatisiert herunterladen und idealerweise in der eigenen Cloud speichern und auswerten. Als Beispiel für eine entsprechende Software schlug er Thinkup vor. Allerdings räumte er auch ein, dass es alles nur Ansätze seien, die noch nicht zu einer integrierten Lösung führen. Er betonte aber den Wert von Open Data insbesondere für private Informationen. WordPress kam auch vor, allerdings seinen die entsprechenden Plugins dafür fehlerhaft und die Integration schwierig.
Erstaunen löste @mspro aus, als er forderte, Adressbücher zu veröffentlichen um Netzwerke zu dezentralisieren. Das beste dezentrale Netzwerk sei das persönliche Adressbuch. Deshalb sei auch Whatsapp so erfolgreich gewesen, da sofort erkennbar war, wer im Netzwerk vorhanden ist. Er kritisierte Facebook dafür, die Vernetzung ohne unser zutun und unsere Einflussmöglichkeiten hinter verschlossenen Türen aufzubauen. RSS und Google Reader seinen ebenfalls schon Nahe am dezentralen sozialen Netzwerk gewesen. Der Referent zeigte noch, durch was sich dezentrale Netzwerke auszeichnen und welche Vorteile sie gegenüber zentralen haben. Abschließend räumte er ein, dass aber die zündende Idee für ein neues Netzwerk notwendig sei, um gegenüber dem Platzhirsch bestehen zu können – er habe diese leider nicht.
Der vorletzte Beitrag beschäftigte sich plakativ mit Bullshit im Netz, behandelte aber tatsächlich alle niveaulosen Null-News und Klickfilmchen wie sie durch Buzzfeed und heftig usw. verbreitet werden. Anhand von Beispielen zeigte er die vielen negativen Seiten dieser Berichterstattung ohne Haltung: niedrigstes Niveau, Massengeschmack, Fastlügen, unpolitisch, gierig. Sein Vortrag war ein Appell, ernsthafte Nachrichten im Netz zu suchen und sich Quellen und Herkunft der Nachrichten genau anzusehen. Auch quotenschwache Seiten, wie CNN, täten alles, um an Klicks zu kommen.
Von Katersalons habe ich noch nie etwas gehört. Diese Vertreterin schaffte es jedoch eine Stunde einen druckreife Rede zu halten. Quintessenz für „die Netzgemeinde“ bringe deine Metadaten durcheinandern und ärgere die Algorithmen. Das schütze zwar nicht vor Überwachung, mache es den überwachten aber wenigstens etwas schwerer und bringe zudem noch Spaß. Etwa, wenn man unter verschiedenen Identitäten für verschiedene Aktivitäten im Netz unterwegs ist.
Den Abschluss des Abends sollte die Web Week Night bilden. Partystimmung wollte aber nicht aufkommen. Jazzband und Elektrochill wollten keine so rechte Stimmung aufkommen lassen. Außerdem blieben mehr als die Hälfte der Stehtische leer und die Besucher verloren sich vor der riesigen Halle mit Bühne 1 und drängten sich um die Bars.
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