Erstes Ergebnis der re:publica – fünf Thesen zum Journalismus

Wie in den letzten vier Jahren immer, waren auch auf der zehnten re:publica gefühlt 20 bis 30 Prozent der Veranstaltungen direkt oder indirekt dem Journalismus verhaftet. Einige davon habe ich besucht, einiges diskutiert. Daneben habe ich auch an einzelnen Blogger-Sessions teilgenommen. Mit viel eigener Interpretation, aber inspiriert von der #rpTEN komme ich nun auf fünf Thesen zum Journalismus, die im Prinzip nichts neues sind, aber alte Erkenntnisse (leider) erneut bestätigen:

1. Es gibt nach wie vor kein tragfähiges Finanzierungskonzept für Online-Journalismus im klassischen Sinne (weder für Verlage noch Blogger); hochwertiger Journalismus braucht Geld, das mit Print-Ausgaben verbrannt wird und sich online nicht verdienen lässt. Blogger leben von „Kooperationen“ (und Schulungen, in denen sie anderen Bloggern beibringen, wie mit Bloggen Geld verdient wird). Die Mär vom „unabhängigen“ Blogger, der trotz Kooperationen Unternehmen kritisch begleitet, hätte ich gerne mal neuropsychologisch bestätigt. In Kürze: wer zahlt, schafft an. Das mag bei Reisen und Outdoor-Klamotten und Autos funktionieren, den klassischen Journalismus kann es nicht ersetzen.

Flattr Plus, eine Kombination aus dem nicht so erfolgreichen Bezahldienst und Adblock Plus. Ob das was wird?

Flattr Plus, eine Kombination aus dem nicht so erfolgreichen Bezahldienst und Adblock Plus. Ob das was wird?

Bürgerjournalisten gibt es angeblich, auch hier sehen manche schon wieder ein neues Geschäftsmodell am Horizont; Quellenprüfung, Objektivitätsanspruch, Ausgewogenheit – alles berechtigte Tugenden des klassischen Journalismus bleiben dabei aber auf der Strecke. Nach meinem Eindruck geht es eher um Voyeurismus mit allen technisch zur Verfügung stehenden Mitteln:

Ryot, mittlerweile von der Huffington Post gekauft, verteilt Smartphones, mit denen Betroffene von Ereignissen selbst Bilder machen können. Das Unternehmen ist v.a. auf 360-Grad-Videos spezialisiert.

Ryot, mittlerweile von der Huffington Post gekauft, verteilt Smartphones, mit denen Betroffene von Ereignissen selbst Bilder machen können. Das Unternehmen ist v.a. auf 360-Grad-Videos spezialisiert.

2. Die Grauzone zwischen Journalismus in klassischem Sinne (der gesellschaftlichen und politischen Nützlichkeit) und dem puren Text (oder Content-) Handwerk wird immer größer; Verlage flüchten in Beilagen oder gründen Tochterunternehmen zur Content-Produktion. Text- und Marketingagenture betreuen Content-Plattformen für Unternehmen. Hier lässt sich zumindest etwas Geld verdienen, das mit klassischer Werbung in Print-Medien verloren gegangen ist. Was das für das Selbstverständnis von Journalisten bedeutet, wurde das schon mal untersucht?

3. Der „PR-Journalist“ wird zur Normalität, das Marketing-Angebot ersetzt das Verlagsprodukt; damit verstärkt sich weiter, was aber eigentlich immer schon zu beobachten war: Der Journalist als Aushängeschild von Kompetenz und Branchenkenntnis ist natürlich für Unternehmen (und Organisationen) interessant. Früher durfte er bei Fachkonferenzen als unabhängiger Experte auftreten, dann wurde er zum (bezahlten) Moderator und schließlich wird er komplett eingekauft. Wer mit „freien“ Journalisten spricht, ist es schon gewohnt, dass diese mindestens die Hälfte ihrer Einnahmen aus Marketing-Projekten erzielen. Auch wenn die andere Hälfte in journalistischen Produkten verdient werden, so ist es auch hier wieder fraglich, ob die „Unabhängigkeit“ ausreicht.

4. Für diejenigen, die mit den Herstellungsprozessen der Medien- und Kommunikationsindustrie nicht vertraut sind, wird es immer schwieriger, die Motivation hinter einer Veröffentlichung zu erkennen. Angeblich scrollt bei Curved, dem „unabhängigen“ Mobilfunkportal von E-Plus, jeder Dritte bis zur Leiste mit dem Impressum hinunter. Was er dort sucht, wurde natürlich nicht veröffentlicht. Ehrlich gesagt: aus meinem ’nichtmedienaffinen‘ Umfeld kenne ich niemanden, der sich die Mühe macht, bei einer journalistischen Publikation nach den Eigentümern oder Finanziers zu suchen. Solange der Eindruck der Unabhängigkeit gewahrt bleibt, wurde bisher niemand nervös – mit dem L-Presse Vorwurf ändert sich das. Mehr Transparenz wird auch im Journalismus nicht schaden.

Großer Kritiker der "Pseudo-Journalisten": Prof. Dr. Lutz Frühbrodt sieht die Gesellschaft in Gefahr, wenn Content-Marketing nicht als solches erkennbar ist.

Großer Kritiker der „Pseudo-Journalisten“: Prof. Dr. Lutz Frühbrodt sieht die Gesellschaft in Gefahr, wenn Content-Marketing nicht als solches erkennbar ist.

5. Trotz aller Probleme (Cargo-Wort: Herausforderungen) wünscht sich jeder „guten Journalismus“. Mit Angeboten wie Bento oder ze.tt versuchen die großen Medienmarken das Interesse des nachwachsenden Publikums zu erhalten. Im Zeitalter des „nur einen Mausklick“ entfernten nächsten Reizes wird das offenbar immer schwieriger. Es ist lobenswert, dass die Verlage hier investieren und ausprobieren. Da stimmen zwar die Klickzahlen, aber für das Klingeln im Geldbeutel reicht es offenbar nicht. Erstaunlich aber auch die Quintessenz, wenn Sebastian Horn (rechts) von ze.tt sagt, „gute Geschichten gehen immer“. Und gute Geschichten findet man eigentlich auch in den Mutterschiffen, wie Spiegel, SZ oder Zeit.

Moderiert von Krautreporter Christian Fahrenbach (l): Frauke Lüpke-Narberhaus (2.v.r.) und Sebastian Horn von ze.tt (r.).

Moderiert von Krautreporter Christian Fahrenbach (l): Frauke Lüpke-Narberhaus (2.v.r.) und Sebastian Horn von ze.tt (r.).

Mein Fazit mehr denn je: Content-Marketing braucht ebenfalls gute Geschichten – aber auch Transparenz. Verstecktes Marketing, verpackt in bestes Storytelling tut uns als Gesellschaft aber nicht gut. Schon heute werden die Interessenkonflikte von Verlagen und Journalisten klassischer Medien zum Anlass für Vorwürfe genommen. Das Content-Handwerk tut sich langfristig keinen Gefallen, wenn die Glaubwürdigkeit klassischer Medien weiter beschädigt wird.

Gut oder schlecht - egal, wenn die Story gut erzählt wird. Wie das geht Predigt Prfessor Bernhard Pörksen zu den Massen.

Gut oder schlecht – egal, wenn die Story gut erzählt wird. Wie das geht predigt Prfessor Bernhard Pörksen zu den Massen.

„Guter Journalismus“ ist nur für gutes Geld zu haben. Mäzenatentum alleine reicht nicht aus, wie wir während der re:publica lernen durften: Stichwort Servus TV. Unabhängiger spenden- und stiftungsfinanzierter Journalismus a la correctiv.org oder Krautreporter ist vielleicht eine Lösung, oder Recherchekooperationen, die Ressourcen aufteilen, wie die von NDR, WDR und SZ (Panama Papers). Oder vielleicht taucht am Horizont die Tochter oder der Sohn eines Milliardärs auf, der sein Vermögen in ein echtes unabhängiges Produkt steckt – Jeff Bezos von Amazon bezieht sich mit der Washington Post hier vielleicht auf Hearst, aber der agierte, laut Wikipedia leider wie Buzzfeed und Huffington Post von heute:

William Randolph Hearst kam am 29. April 1863 in San Francisco als einziges Kind von George Hearst, einem durch Bergbau und Landwirtschaft reich gewordenen Multimillionär, und dessen Frau Phoebe zur Welt. Nach seinem erfolgreichen Journalismusstudium in Harvard begann er beim Harvard Lampoon, der von Joseph Pulitzer geleitet wurde, zu arbeiten. 1887 übernahm er die Zeitung San Francisco Examiner, um sie mit großem Erfolg radikal umzugestalten. Vom Journalismus Pulitzers inspiriert, wies er seine Journalisten an, schockierende Nachrichten zu schreiben, um die Leser zu begeistern.

Leider keine guten Aussichten diesmal…

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